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02.07.24 –
Zweieinhalb Jahre ist die Ampelkoalition nun an der Regierung. Und es kommt uns doch viel länger vor. Zum Vergleich: Vorher gab es 16 Jahre von der CDU geführte Regierungen. Genauso lange blieben viele Themen liegen, es gab einen riesigen Reformstau. Unser GRÜNER Bundestagsabgeordneter Till Steffen zieht eine erste (persönliche) Bilanz seiner Arbeit im Bundestag.
Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ende der Legislaturperiode verdeutlichte, dass nicht mehr die Politik die treibende Kraft für Reformen war. Die steuerpolitisch fetten Jahre vor der Coronakrise wurden nicht für Investitionen in die verfallende Infrastruktur genutzt. In der Coronazeit wurden uns die Versäumnisse bei der Digitalisierung und die Abhängigkeit von funktionierenden Lieferketten vor Augen geführt. Beim Pandemiemanagement hangelte man sich von Lockdown zu Lockdown und hoffte, wie immer, die Probleme ließen sich mit Geld lösen.
Die Unzufriedenheit mit dieser Situation führte im neuen Bundestag zur Debatte über die Impfpflicht, an der ich mich intensiv beteiligt habe. Endlich vor die Lage kommen, anstatt nur zu reagieren - das ist der Spirit, der neu im Bundestag Einzug gehalten hat. Dem größten Bundestag aller Zeiten übrigens. Deutlicher konnte die Politik ihre Reformunfähigkeit nicht zeigen. Aber gleich im ersten Jahr gingen wir auch das Problem an. Über ein Jahr diskutierte ich mit meinen Kolleg*innen in der Wahlrechtskommission über Lösungsmöglichkeiten.
Wir waren ernsthaft bemüht, eine breite Mehrheit, einschließlich der Opposition, zu gewinnen. Dies scheiterte jedoch, wie die letzten zehn Jahre zuvor, an der CSU, die nicht bereit war, auch nur auf einen einzigen Abgeordneten zu verzichten. Aber Scheitern war für uns keine Option. Und wir haben ein neues faires Wahlrecht beschlossen. Es reduziert den Bundestag nachhaltig auf eine feste Größe. Die Abschaffung der Überhangmandate macht das neue Wahlrecht für alle fair. Damit ist es auch ein wichtiger Beitrag für die Resilienz unserer Demokratie.
Man vergisst leicht, dass diese Reform und viele andere Reformen im Schatten des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und den daraus folgenden weiteren Herausforderungen erfolgten. Energiekrise, Inflation und die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge. Diese haben wir trotz allem in den Griff bekommen. Und die Opposition war bei keiner Lösung dieser Probleme eine Hilfe, im Gegenteil.
Beispielhaft in meinem Bereich war etwa das Hinweisgeber*innenschutzgesetz. Hier war Deutschland längst zur Umsetzung einer EU-Richtline bis 2019 verpflichtet. Die Große Koalition ist daran gescheitert. Wir haben eine Lösung gefunden. Das vom Bundestag bereits im Dezember 2022 verabschiedete Gesetz ist jedoch von unionsgeführten Ländern im Bundesrat blockiert worden, was zu Strafzahlungen führte. Schließlich konnten wir 2023 einen Kompromiss erreichen, der nun eine deutliche Verbesserung des Schutzes hinweisgebender Personen möglich macht. Deutschland bekam endlich ein Gesetz, das Whistleblower*innen schützt und dabei hilft, Missstände effektiv aufzuklären und zu beheben.
Im gleichen Jahr haben wir die Durchsetzung von Verbraucher*innenrechten mit der sogenannten Verbandsklage wesentlich verbessert. Nur auf dieser Grundlage kann jetzt die Verbraucherzentrale Bundesverband eine Sammelklage gegen Vodafone wegen unzulässiger Preiserhöhungen führen. Und besonders wirksam: Die Verbraucherzentrale kann jetzt eine Gewinnabschöpfung bei rechtswidrigen Geschäftspraktiken durchsetzen. Betrug von Verbraucher*innen lohnt sich dann einfach nicht mehr.
Auch wenn solche Gesetze und zahlreiche kleinere in der Öffentlichkeit kaum Beachtung finden, so zeigen sie doch, dass es vorangeht. Sie zeigen, dass die Zukunft heute nicht nur „ein einziger Abwehrkampf auf einer abschüssigen Bahn nach unten" ist, wie es der Soziologe Hartmut Rosa ausdrückte. Auch wenn ich mir manchmal in einigen Bereichen, wie etwa der Digitalisierung der Justiz, mehr Tempo wünschen würde, so kommen wir doch voran. Und wir brauchen diese positive Erzählung.
"Gegen die Russen. Gegen den Klimawandel. Gegen den wirtschaftlichen Niedergang. Gegen die AfD. Gegen die Migration. Das sorgt für Hoffnungslosigkeit und Wut", schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich. Als Anfang dieses Jahres die Pläne der AfD zur Remigration an die Öffentlichkeit kamen, gingen hunderttausende Menschen auf die Straße. Das ist kein Zeichen der Resignation. Und wenn wir im Bundestag parteiübergreifend über die Stärkung des Bundesverfassungsgerichts verhandeln oder einige mit mir über ein AfD-Verbot nachdenken, so ist das auch kein Zeichen von Resignation, sondern von Handlungsfähigkeit.
Wir vergessen oft, wie widerstandsfähig Demokratie ist. Manchmal hilft da auch ein anderer Blick. Auf meinen Delegationsreisen nach Taiwan und Estland bekam ich eindrucksvoll vorgeführt, wie flexibel und stark Demokratien gerade in Bedrohungslagen sind. Dazu ist auch Deutschland fähig.
Erlebbar wird Demokratie aber gerade vor Ort: Ob bei unseren Diskussionsveranstaltungen im Wahlkreisbüro, wie kürzlich zu Pro und Contra Allgemeiner Dienstpflicht, Gesprächen mit Bürger*innen in der Sprechstunde, am Rande einer Fahrradtour durch den Wahlkreis oder bei Besuchen von Vereinen und Unternehmen. Die oft abstrakten Diskussionen in Berlin werden vor Ort fassbar. Aus dem abstrakten Begriff der Energiewende werden Balkonkraftwerke oder die energetische Sanierung von Sportstätten beim HEBC. Aus Förderung von Kultur und Erinnerung wird die Finanzierung des MARKK und des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge.
Umgekehrt freue ich mich jedes Mal, in Berlin Besucher*innen aus Eimsbüttel, ob auf Fahrten nach Berlin über das Bundespresseamt oder bei Schüler*innengruppen, zu zeigen und zu erklären, wie dort meine Arbeit aussieht.
Wenn ich also die letzten zweieinhalb Jahre Revue passieren lasse, dann merke ich: Es lohnt sich, dieses Land fit zu machen. Es lohnt sich bewusst zu machen, was die ZEIT im Juli letzten Jahres schrieb: „Die Ampel hat in 18 Monaten mehr angestoßen als die Merkel-Bündnisse in 16 Jahren." Wir haben aber auch noch viel zu tun. Wenn wir eng im Austausch mit den Bürger*innen bleiben, kriegen wir das hin.
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