Der Kampf um die Freiheit im Iran und was es mit uns zu tun hat Frau – Leben – Freiheit

02.02.23 –

Seit vielen Monaten gehen Menschen im Iran auf die Straße und protestieren gegen ein beispielloses Unrechtsregime – gegen die islamische Republik. Schon in den Jahren davor gab es bereits einige Male Proteste, die jeweils blutig niedergeschlagen wurden. Jedoch veranlasst der Umfang und insbesondere die gesellschaftliche Breite, in der die Proteste getragen werden, die Menschen immer mehr, über eine Revolution zu sprechen – auch wenn es in den letzten Wochen deutlich ruhiger zugeht. Hier ein sehr persönlicher Beitrag von Ali Mir Agha, einem der Vorsitzenden der grünen Bezirksfraktion.

Aramak, meine geschätzte Mitabgeordnete, fragte mich, was wir tun können. Ich dachte: Was können wir schon tun, vom weitentfernten und kleinen Eimsbüttel? Eine gewisse Ohnmacht vermischt sich immer mit unendlicher Wut, wenn man die grenzenlose Härte und Brutalität mitbekommt, mit der Regierungsschergen gegen Studierende, gegen Frauen und sogar Kinder vorgehen.

Als Höhepunkt dieses Terrors gegen die eigene Bevölkerung hat das Parlament den Weg geebnet, Protestierende wegen der vermeintlichen Straftat „Verdorbenheit auf Erden“ hinrichten zu können. Nun sind insgesamt über 18.000 inhaftierte Menschen mit der Todesstrafe bedroht. Unvorstellbar! Was ich jetzttun kann, ist neben einer klaren Positionierung im Netz, hier zu schreiben. Zu demonstrieren. Ggf. Patenschaften übernehmen. Pat*innen und Akteur*innen zu unterstützen.

Es geht um die Sichtbarkeit der Menschen und der Proteste einerseits und die klare Verdeutlichung, was das alles mit uns hier in Deutschland zu tun hat. Auch kann ich öffentlich die eigene Regierung, wie auch die eigene Parteispitze, dafür kritisieren, dass sie nicht konsequent genug alle Hebel nutzt, um dem Regime in Teheran die Konsequenzen aufzuzeigen. Zu sagen, dass es mich wütend macht, dass ich zurzeit vor allem ein Fan von Norbert Röttgen bin bzw. sein muss, statt von Annalena Baerbock. Am Ende jedoch wäre es vermessen zu behaupten, dass wir viel tun können. Ein geschätzter sozialdemokratischer Kollege schrieb „Wir werden es beenden.“ Da dreht sich mir der Magen um. „Wir“ werden nichts beenden. „Wir“ sitzen warm und sicher in einem demokratischen Rechtsstaat. „Wir“ dürfen uns nicht anmaßen, im gleichen Boot wie die mutigen Menschen im Iran zu sitzen. Nichtsdestotrotz können wir uns solidarisieren. Wir können, sollten und müssen alle Unterstützung den Menschen im Iran zukommen lassen. Am Ende ist es umso mehr unsere Pflicht, die Opfer des iranischen Volkes für die Demokratie wertzuschätzen und ihrer zu gedenken.

Wenn wir uns dem Verfall der Demokratie in unserem eigenen Land hingeben, so missachten wir all die Leben, all die Opfer der jungen Generation im Iran. Warum? Ich versuche mich mal an einer Antwort: Meine Kindheit verbrachte ich im Iran und ich erlebte, wie protestierende Menschen von Schergen des Schah auf offener Straße erschossen wurden – das war während der Islamischen Revolution. Und später erlebte ich, wie protestierende[JP1]  Menschen von Revolutionsgardisten terrorisiert wurden. Ich habe erlebt, wie Basijis (inoffizielle als Hilfspolizei eingesetzte paramilitärische Miliz) auf offener Straße – vor meinen und den Augen der anderen Kinder – die Lippen einer Frau mit Rasierklingen aufschnitten, weil sie roten Lippenstift trug. Mein Vater wurde mit einer Kalaschnikow in einer Bank bedroht, weil er einschritt und eine junge Frau vor Belästigung schützen wollte – vor meinen Augen. Da war ich keine zehn Jahre alt. Mit zwölf Jahren bekamen wir als Jungs in der Schule das Fach „praktische Wehrkunde“ dazu. Dafür abgestellte sadistische Unteroffiziere der Revolutionsgardisten brachten uns bei, Waffen auseinander- und zusammenzubauen. Schießübungen wurden durchgeführt und das taktische Einmaleins bei Angriff und Verteidigung. Rein nach Regularien konnte man dann ab dem 14. Geburtstag an die Front geschickt werden. Dies und die fortgeschrittene MS-Erkrankung meiner Mutter waren die Gründe für mich, gemeinsam mit ihr das Land für immer zu verlassen.

An meinem ersten Schultag an einer deutschen Schule führten mich meine Klassenlehrerin und mein Klassenlehrer durch die für mich neue Schule. Meine zehn Jahre ältere Schwester begleitete mich. Ich war ein durchaus schüchterner Junge, der einen gehörigen Respekt vor dieser neuen Welt hatte, welche sich mir da auftat. Ich erinnere mich bildlich daran, wie sich der Lehrer und die Lehrerin zufrieden nach dem Rundgang in den Arm nahmen und küssten. Kurz, zärtlich und doch abgeklärt. Auf den Mund. Man muss dazu wissen, dass sie beide verheiratet waren – und zwar nicht miteinander. Diese Info war mir an dem Tag zwar nicht bekannt, trotzdem war diese Tatsache, dass sich eine Lehrerin und ein Lehrer in einer gemischten Schule an der Treppe vor vorbeigehenden Schüler*innen und Angehörigen küssten, für mich ein Novum. Ich stand gefühlt zur Belustigung der Beiden gute zwei Minuten mit offenem Mund da und musste mich fangen. Ich erinnere mich zu gut, dass ich dachte: Das muss diese Freiheit sein, von der alle reden. Was Freiheit bedeutet, kann sich eben manchmal auf eine ganz subtile Art und Weise offenbaren. Wir sind hierzulande daran gewöhnt. Für einen 13-jährigen Jungen, der mit Revolution, Unterdrückung und Krieg groß geworden ist, war und ist es eben nicht gewöhnlich.

Mitglieder der AfD sehen sich hierzulande in ihren Freiheitsrechten verletzt, wenn in Sitzungen der Bezirksversammlung und deren Ausschüssen in einer freiwilligen Selbstverpflichtung aus Pandemie-Gründen Masken getragen werden müssen und wähnen sich bereits in einer Diktatur. Sie stellen sich einerseits Hamburg wieder als eine Burg mit Stadtmauern vor – samt Recht, Zucht und Ordnung im Inneren. Und andererseits fühlen sie sich von Vielfalt und progressiver Zukunftspolitik so massiv bedroht, dass Gendern nonchalant mit Totalität verglichen wird. Da machen kurzerhand Konservative mit. Dies ist alles Hohn und Spott für die jungen Menschen im Iran, die in Todeszellen auf ihre Hinrichtung warten.

Zum Beispiel im Falle von Mohammad Mahdi Karimi. Ein 22-jähriger junger Mann, der seinem Vater aus dem Gefängnis am Telefon sagte: „Mein Urteil ist die Hinrichtung Baba, aber sag Maman nichts davon.“ Er wurde hingerichtet. Weil er aus Solidarität unter jungen Frauen, mit oder ohne Kopftuch, auf der offenen Straße Bonbons verteilte und diese umarmte. Ein unzulässiger Protest gegen das Regime, welcher mit dem Tod bestraft wurde. Er hatte das ganze Leben vor sich. Wie sollen wir seinen Angehörigen die Haltung mancher Mitmenschen hier erklären, die Diktatur schreien und meinen, bestimmte Dinge hier nicht sagen zu dürfen, obwohl sie es ja dabei gerade doch gesagt haben? Das Geschwafel von besorgten Bürger*innen, dahergeredet von Konservativen – was letztlich nur zur Verschiebung des Diskurses führt – kann ich spätestens seit den Vorgängen im Iran nicht mehr ertragen. Wir müssen konsequenter Demokratien schützen. In allen Parlamenten. Wir müssen uns als Partei klarer denn je für eine tolerante und vielfältige Gesellschaft positionieren, für Rechtsstaatlichkeit, im In- und Ausland. Wirtschaftliche Interessen dürfen das nicht überwiegen. Und mit Verlaub: Wir müssen für eine Rückkehr eines solidarischen Asylrechts kämpfen. Wir müssen für Humanität an den Außengrenzen der Europäischen Union und für die Abschaffung von Frontex kämpfen. Wir müssen für ein menschenrechtsorientiertes und taugliches Völkerrecht kämpfen und endlich den Atomdeal mit dem Mullah-Regime beerdigen. Wann begreifen wir innerhalb der EU, dass dieses terroristische Regime kein tauglicher Vertragspartner ist und sein wird und dass es das Existenzrecht Israels immer negieren wird? Was wir jedoch vor allem in Hamburg tun müssen (und das befindet sich tatsächlich im Rahmen unserer Möglichkeiten) ist, dass das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) ein Ort kultureller und religiöser Begegnung wird und kein von Teheran gesteuerter Hort von Hass und Extremismus ist.

Für mich, als inzwischen 47-jähriger Kommunalpolitiker, ist die Freiheit in all seinen Facetten nicht gewöhnlich geworden. In allen unangemessenen politischen Debatten sind die angerissenen Erinnerungen meiner Kindheit gegenwärtig. Sie sind eingebrannt. Manchmal denke ich eben auch an den Kuss zwischen meiner Lehrerin und meinem Lehrer an dem Tag in der Fritz-Schumacher-Schule in Langenhorn. Auch daran, dass ich an ihrer Liebschaft und dem Umgang der Anderen in dieser Schule damit in den darauffolgenden Jahren gelernt habe, was eine tolerante und freiheitliche Gesellschaft bedeuten mag. Dafür bin ich dankbar. Und gern möchte ich dieses Leben auch all den Menschen ermöglichen, die ihr Leben für diese Freiheit riskieren und über das Mittelmeer kommen. Und vor allem wünsche ich genau das all den Menschen im Iran. Und: Ich kämpfe dafür, diese Freiheit hier zu schützen und zu bewahren. Dafür engagiere ich mich politisch. Und dazu lade ich alle Mitglieder unserer Partei ein.

Ali Mir Agha

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