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30.04.24 –
Gastbeitrag: Anna Gallina und Till Steffen
Demokratien sterben leise. Sie sterben langsam. Sie sterben, wenn es Extremist*innen und Autokrat*innen gelingt, mit den Mitteln der Demokratie durch die Institutionen in verantwortliche Positionen zu kommen. Wenn demokratische Kräfte meinen, dass die Einbindung der Autokraten erfolgversprechender ist, als eine harte und kompromisslose Ausgrenzung, dann könnte das der Anfang vom Ende der Demokratie bedeuten. Fatal ist jede Kooperation mit der AfD, selbstverständlich auch auf kommunaler Ebene. Denn so kippen Extremist*innen und Autokrat*innen Demokratien, langsam und Stück für Stück, ohne jemals eine Mehrheit dafür gehabt zu haben. Mit ihnen stirbt der liberale Rechtsstaat. Das gilt es zu verhindern. - Ein Beitrag von Anna Gallina und Till Steffen.
Wer von Deportationsplänen schwadroniert greift uns alle an!
Nach den Correktiv-Recherchen zur AfD und ihren Deportationsplänen ist die Debatte um die Wehrhaftigkeit unser Demokratie in der Breite der Bevölkerung angekommen. Die Vorstellung, wir und Europa könnten in faschistische Zeiten zurückfallen mit all den massiven und lebensbedrohlichen Konsequenzen, fasst viele Menschen an.
Demokratie und ein liberaler Rechtsstaat sind die Grundlage für Freiheit und Sicherheit, in der wir in Deutschland und Europa leben. Aber die neuen Rechtsextremisten und Populisten haben Strategien entwickelt, um mit den Mitteln der Demokratie den Rechtsstaat und das, was uns zusammenhält, unsere Grundrechte, anzugreifen. Das Ziel ist ein Abbau von Grundrechten, deren Kern darin besteht, solidarisch mit denen zu sein, die anders sind als man selbst, und die Mehrheitsgesellschaft nicht zum alleinigen Maßstab zu erheben.
Wie gefährlich die Entwicklung rechtsextremer, rechtsnationaler und autokratischer Kräfte für den liberalen Rechtsstaats ist, kann man bei einem Blick etwa nach Polen und Ungarn sehen. Die dort in Gang gesetzte Aushebelung der unabhängigen Justiz durch die autokratisch gesinnten Regierungen ist höchst besorgniserregend. Gerade in Polen, wo seit wenigen Monaten wieder demokratische Kräfte an der Macht sind, kann man sehen, wie schwer es ist, den autoritären Staatsumbau zurückzudrehen.
Verfassungsrechtliche und gesetzliche Einfallstore schließen!
Dass die Justiz, insbesondere die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, als Einfallstor für einen autoritären Staatsumbau dient, dürfte kein Geheimnis sein. Ohne eine funktionsfähige Justiz wird es unmöglich, erlassene Gesetze im Rahmen der geltenden demokratischen Verfassungen zu überprüfen und ggf. für nichtig zu erklären.
Und das ist das Ziel der Feinde des Rechtstaates.
Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Kontrolle über Gerichte zu erlangen: etwa durch die Verkürzung der Amtszeiten von Richter*innen und gezielter Neubesetzung der Gerichte mit Richter*innen aus „den eigenen Reihen“. Oder durch die Reduzierung der Entscheidungskompetenzen der Gerichte, die Änderung der Gerichtsorganisationen oder die Modifizierung von Abstimmungsregeln – alles Maßnahmen zur Unterminierung des Rechtsstaates und der richterlichen Unabhängigkeit. So gelingt es, den wichtigen Vetospieler „Justiz“ auszuschalten und den eigenen Einfluss unangreifbar zu machen.
Die Vereinnahmung und die Ausschaltung der Justiz sind schwerwiegende Angriffe auf den liberalen Rechtsstaat und die Demokratie. Analysen haben gezeigt: Auch unsere Demokratie und unser liberaler Rechtsstaat sind verletzlich.
Wir sind in einer ernsten Phase, in der alle demokratischen Kräfte ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden müssen. Eine Beteiligung verfassungsfeindlich gesinnter Personen an (Landes-) Regierungen in Deutschland erscheint mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nicht mehr unwahrscheinlich.
Deshalb müssen wir unseren Rechtsstaat resilienter machen. Jetzt.
Für ein starkes unparteiliches Bundesverfassungsgericht
Dafür ist eines unser zentralen Anliegen, zunächst das Bundesverfassungsgericht als Hüterin der Verfassung zu stärken. Seine verfassungsrechtliche Absicherung weist noch Lücken auf, da einige grundlegende, für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts wesentliche Bestimmungen bislang nur einfachgesetzlich geregelt sind und damit mit einfacher Mehrheit geändert werden können.
Bereits 2019 hat Hamburg hier Handlungsbedarf gesehen und das Thema bei der Justizministerkonferenz angemeldet. Aber erst jetzt hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Die Justizministerkonferenz hat dazu unter der Federführung Hamburgs eine Arbeitsgruppe aller Bundesländer organisiert, die unter Einbindung zweier ehemaliger Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts einen Gesetzentwurf entwickelt hat.
Das Herzstück des Entwurfs ist die Neufassung von Artikel 93 und 94 GG zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Geplant ist:
• die Verankerung der doppeltqualifizierten (2/3) Mehrheit zur Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts
• die Festlegung der zwölfjährigen Amtszeit und das Verbot der Wiederwahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts
• eine verfassungsrechtliche Regelung zur Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des nachfolgenden Mitglieds,
• eine verfassungsrechtliche Regelung zur Ersatzbestimmung von Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts im Falle von Wahlblockaden (Stichwort: Sperrminorität)
• die Aufnahme einer Regelung, dass Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedürfen sowie
• die Verankerung der Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz.
Zeitgleich werden auf Bundesebene Gespräche innerhalb der Fraktion und auch fraktionsübergreifend über die geplanten Änderungen geführt. Die Gespräche betreffen nicht nur die inhaltliche Ausrichtung der Grundgesetzänderung, sondern auch die Frage, wie sie politisch gelingen kann. Denn da eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein wird, kommt es auch auf die Stimmen der Opposition an.
Neben der grundgesetzlichen Verankerung des Bundesverfassungsgerichts als unabhängiges und unparteiliches Organ richten sich die Gespräche in Berlin auch auf weitere Voraussetzungen eines gegen populistisch-autoritäre Tendenzen gewappneten Rechtsstaats.
Mit dem neuen Gesetz zur Finanzierung parteinaher Stiftungen unterbinden wir Versuche, staatliche Gelder zu nutzen, um gegen die Demokratie zu arbeiten. Parteinahe Stiftungen müssen zukünftig sicherstellen, dass sie aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Mit einer Reform des Bundesdisziplinargesetzes können zukünftig Verfassungsfeind*innen schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden.
Der Fall des rechtsextremen Richters Jens Maier zeigte, dass es rechtlicher Nachschärfungen bedarf. Klar ist, dass von jemandem, der Migration, als die "Herstellung von Mischvölkern" bezeichnet und von "Kulturfremden" spricht, gleiche Behandlung vor dem Gesetz nicht zu erwarten ist. Die mit dem Fall befasste grüne Justizministerin in Sachsen, Katja Meier, hat deshalb einen Maßnahmenkatalog gegen Extremismus im öffentlichen Dienst vorgestellt, den wir auch auf Bundesebene konsequent abarbeiten.
Auch bei ehrenamtlichen Richter*innen schärfen wir nach. Es dürfen keine Zweifel aufkommen, dass Schöff*innen jederzeit bereit sind, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Gleichzeitig wollen wir dieses Ehrenamt attraktiver machen und die Gesellschaft in ihrer Breite und Diversität einbinden, indem wir beispielsweise das Amt auch für EU-Ausländer*innen öffnen.
Transparente nachvollziehbare Entscheidungen stärken die Resilienz. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, auch die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten unter den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt zu reformieren.
Von Thüringen bis Hamburg
Die Justizminister*innen der Länder haben sich zudem darauf verständigt, die Resilienz gegen Verfassungsfeinde auch in den Ländern weiter zu stärken. Denn die Regelungen der Länder unterscheiden sich zum Teil deutlich, zum Beispiel für die Besetzung von Landesverfassungsgerichten. Auch wie Richter*innen anderer Gerichte zu eben solchen werden, ist sehr unterschiedlich. Manche Bundesländer haben dafür Richterwahlausschüsse, bei anderen sind es die Ministerien, die letztlich entscheiden. Manche haben bestimmte Verfahren in der jeweiligen Landesverfassung abgesichert, andere nicht.
Das Beispiel Thüringen zeigt exemplarisch die Gefahren eines Wahlerfolgs einer autoritär-populistischen Partei für den liberalen Rechtsstaat auf. Ein Forschungsprojekt des Verfassungsblog, das Thüringen-Projekt, untersucht bis zu den Landtagswahlen im Herbst 2024, welche Spielräume eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hätte, um sich im Falle einer Regierungsübernahme oder -beteiligung gegen rechtsstaatliche Bindungen zu immunisieren. Jetzt wurden jüngst sieben Empfehlungen veröffentlicht, die unsere größte Aufmerksamkeit verdienen. Was in Thüringen droht, wäre ein Zäsur. Dagegen müssen wir uns als Demokrat*innen gemeinsam stemmen. Mit allem, was wir haben.
Für Hamburg sind die Herausforderungen zum Glück nicht so groß. Wir haben politisch stabile Verhältnisse und auch verfassungsrechtlich schon eine Menge abgesichert. Aber auch wir müssen bestimmte Fragen diskutieren: für die Landesverfassungsrichter*innen brauchen wir eine verfassungsrechtliche Übergangsregelung für das Ende der Amtszeit bis zur Neubesetzung. Wäre es von Vorteil, die Amtszeit zu verlängern, und sollten wir die Regelungen zur Amtsenthebung in die Verfassung schreiben?
Die Klärung dieser Fragen treibt Anna auf Landesebene voran, damit wir auch in Hamburg für die kommenden Jahre rechtsstaatlich gerüstet sind.
Nur der Anfang
Es gibt also noch eine Menge zu tun, aber immerhin gibt es jetzt den strukturierten Prozess der Länder und die Gespräche in Berlin. Wir zeigen damit die Handlungsfelder für eine bessere rechtstaatliche Resilienz auf, was dann hoffentlich in eine Umsetzung durch die demokratischen Fraktionen in Bund und Ländern mündet.
Letztlich können diese Vorkehrungen allein Extremisten und autoritär-populistische Parteien nicht verdrängen. Dafür braucht es jede und jeden einzelnen in unserem Land, mit breitem Kreuz, klarer Haltung, Fakten und der Fähigkeit, mit anderen demokratischen Parteien auch über große inhaltliche Differenzen hinweg Politik zu gestalten. Den Menschen wieder stärker vermitteln, dass wir jede*n einzelne*n von ihnen in unserer Gesellschaft brauchen, damit alle eine gute Rolle für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft haben können – das ist unsere Aufgabe. Ihre Ideen, ihre Lebenserfahrung, ihre Kompetenzen – all das ist wichtig für eine pluralistische Gesellschaft, die den aktuellen und zukünftigen Krisen trotzt. Wir sollten daher die Gemeinsamkeiten suchen, neue entwickeln und nicht selbst Populismus betreiben.
Der Landesverband lädt alle Mitglieder herzlich zur LMV ein - Schwerpunkt ist die Aufstellung der Landesliste für die nächste Bundestagswahl. Weitere Infos findet ihr hier.
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