Nachruf auf Katja Husen von Anna Gallina

„Vom ersten Tag auf dieser Welt geliebt zu werden – was für ein unfassbares Geschenk mir da gemacht wurde.“ Katja Husen, Twitter, 14.06.2022

28.06.22 –

„Vom ersten Tag auf dieser Welt geliebt zu werden –
was für ein unfassbares Geschenk mir da gemacht wurde.“
Katja Husen, Twitter, 14.06.2022

 

Liebe Freund:innen,


den Einstieg zu finden, ist gar nicht so leicht. Nicht weil es schwierig ist, Worte zu finden. Sondern weil keine Worte ändern können, worum es geht: Katja ist nicht mehr da.


Fassungslosigkeit, Schmerz, Trauer, Wut auf diese unfassbare Ungerechtigkeit. All das ist auf einmal da. All diese Gefühle.


Katja ist ein besonderer Mensch gewesen, für mich ein Lieblingsmensch. Ich kann ihr Lachen hören, wenn ich die Augen schließe. Ich sehe ihren wachen, interessierten Blick. Ich spüre ihre feste Umarmung. Sie war meine Freundin. Und damit hat sie mir ein unfassbares Geschenk gemacht. Ich weiß, dass es ganz vielen Menschen geht wie mir.


Man konnte mit Katja über alles sprechen, außer über Belangloses. Deshalb hat sie so viele Menschen tief berührt. Oft und intensiv haben wir über das Patriarchat gesprochen, über Menschen, denen ihre Privilegien wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen und die meinen, ihnen stehe alles mögliche auf Kosten von anderen einfach zu. Ich habe es geliebt, wie sie über ihre Lieben gesprochen hat. So warm, so einfühlsam, so begeistert.


Vor ungefähr zwölf Jahren habe ich Katja kennengelernt, und schon kurze Zeit später saßen wir gemeinsam als Beisitzer:innen im Landesvorstand. Katja hatte zu diesem Zeitpunkt schon so viel für unsere Partei gemacht, in die sie 1997 eingetreten war. Zu ihrer Motivation schrieb sie einmal selbst:


Als ich 1997 bei den Grünen eingetreten bin, war für mich klar, warum es diese Partei sein musste, in der ich mich engagieren wollte: eine Gesellschaftspolitik, die allen Menschen ermöglicht, frei und selbstbestimmt zu leben. Und eine Partei, in der ich als junge Frau direkt mitmachen könnte und nicht erst Jahre einem Mann zuarbeiten müsste, bevor ich ernst genommen werde.“


Freiheit in Solidarität, Feminismus und Selbstbestimmung: Dafür wollte Katja Politik machen. Diesen Anspruch hat sie eingelöst. Von 1998 bis 2000 war sie Vorsitzende der Grünen Jugend Bundesverband. 2002 bis 2006 war sie für uns im Bundesvorstand. Damals waren erst Angelika Beer und später Claudia Roth gemeinsam mit Reinhard Bütikofer Bundessprecher:innen. Steffi Lemke hatte die politische Geschäftsführung inne, Dietmar Strehl war Schatzmeister, Katja frauenpolitische Sprecherin und an ihrer Seite als weiterer Beisitzer Omid Nouripour. In den Jahren 2004 bis 2008 war sie Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft und hat die grüne Gesundheitspolitik geprägt. Auch da ist sie mit ihrer Klarheit, ihren Kompetenzen und ihrem hohen Anspruch an professionelles Arbeiten aufgefallen und wurde nach der Legislatur ans UKE geholt, wo sie zuletzt die kaufmännische Leitung des Zentrums für Molekulare Neurobiologie und der Zahnklinik innehatte.


Unsere gemeinsame Zeit im grünen Landesvorstand war für mich eine besonders prägende Erfahrung. Katja hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, war klar und pointiert in ihren Aussagen und gleichzeitig im besten Sinne im Diskurs. Ich habe viel zugehört damals. Sie hat mich berührt und fasziniert. Die thematische Breite, die Tiefe ihres Wissens und ihre Problemlösungskompetenz finde ich bis heute überragend.


Eine Sache kam aber noch dazu und macht Katja im politischen Raum zu einer wirklichen Seltenheit: ihre Solidarität. Echte Frauensolidarität. Solidarität mit denen, die nicht so sind wie man selbst. Solidarität mit politischen Freund:innen, für die sie auch in schwierigen Situationen öffentlich das Wort ergriffen hat. Solidarisch kritisch-konstruktive Rückmeldungen – oder wie Till Steffen sagte: „Sie hat einem gesagt, wenn man das Brett vor dem eigenen Kopf nicht gesehen hat.“


Dieser solidarische Mensch war Katja in allen Dimensionen ihres Lebens. Nicht nur die eigene Selbstbestimmung, sondern ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen. Sie hat hart für die Rechte von transsexuellen Menschen gekämpft, für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, für eine gute Gesundheitsversorgung aller Menschen. Themen, die sie bis zuletzt als Sprecherin der LAG Soziales der Hamburger Grünen bewegt haben. Die Wahl von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin hat sie noch mal wieder neu elektrisiert.


Annalena verkörpert, dass wir es ernst meinen mit der Veränderung, auf die wir alle warten und von der wir wissen, dass sie dringend nötig ist in diesem Land.Deshalb treten wir bei dieser Bundestagswahl an, um zu regieren. Um wirklich zu verändern statt nur zu versprechen.“ Aus Katjas Bewerbung für die Landesliste zur Bundestagswahl 2021


Katja hat sich als Kandidatin auf einem hinteren Platz der Landesliste in diesen Bundestagswahlkampf geworfen. Natürlich hätte sie auch viel weiter vorne stehen können. Aber so war Katja: Sie hat sich mit den anderen Kandidatinnen verständigt und ist nicht für sich, sondern für die Chance auf grundlegende politische Veränderung in diesen Wahlkampf gezogen. Katja ist unserer Partei immer gerecht geworden, wir als Partei haben das bei Katja nicht immer geschafft. Das schmerzt mich. Katja hingegen hat es uns verziehen.


Die Partei war bei weitem nicht der einzige Ort, an dem sie sich für Menschen begeistert hat und wo Menschen Katja gefolgt sind. 46.250 Tweets hat Katja auf Twitter hinterlassen. Viele voller Humor, scharfsinniger Analysen, empathischer Anteilnahme an Erfahrungen anderer, politischer Anliegen, veganen Gerichten, Berichten über Radtouren und sportliche Herausforderungen, guten und schlechten Erfahrungen, dem FCSP und dem Fanleben in der Nordkurve, Erkenntnissen und der Suche nach mehr davon.


Für ganz viele Menschen, die sie nie persönlich getroffen haben, war sie ein Teil ihres Lebens. Ein Teil, auf den man nicht verzichten will. Weil man sie liebgewonnen hat, weil es sich gut und richtig anfühlt, Katja in seinem Leben zu haben. Jetzt ist sie nicht mehr da. Nichts fühlt sich mehr gut und richtig an. Wir können daran nichts ändern. Katja hat ein selbstbestimmtes Leben geführt, sie hat ganz viel von dem gemacht, was sie sich vorgenommen hat. Sie hat gelebt, geliebt und das Leben gefeiert. Sie war sehr gut in dem, was sie tat, und sehr gut zu anderen. Wie man auf Twitter sagen würde: Seid mehr wie Katja.

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